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Premiere erster VFS Online-PresseTalk

Aktualisiert: 24. März 2021

Sylvia Schenk: „Boykott und moralische Empörung bringen nichts voran.“ Die Menschenrechtsexpertin kritisiert DFB und DOSB


Mit gut 30 Teilnehmern startete der Verein Frankfurter Sportpresse mit seiner Premiere „VFS Online-PresseTalk“, moderiert von unserem Vorstandsmitglied Martina Knief, Hessischer Rundfunk.


Premiere VFS Online-PresseTalk, Zoom Videokonferenz mit Sylvia Schenk

Menschenrechtsexpertin Sylvia Schenk hat bei ihrem Online-Vortrag zu „Menschenrechte und Sport“ beim Verein Frankfurter Sportpresse (VFS) deutlich gemacht, dass Boykottdrohungen und moralische Empörung zwar Diskussionen anstoßen können, es aber harte Arbeit mit einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen braucht, um die Menschenrechte voranzubringen. Boykott sei keine Lösung, so Schenk.


Mit Blick auf die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar forderte die Juristin eine sorgfältige Recherche sowie differenzierte Berichterstattung. Zuletzt war in den Medien unter Bezug auf den britischen Guardian von „Berichten über 6500 auf den WM-Baustellen gestorbenen Arbeitern innerhalb von 10 Jahren“ die Rede. Schenk verweist darauf, dass der Guardian dies nie berichtet hat, sondern noch im März 2020 „34 tödliche Unfälle auf den WM-Baustellen seit Baubeginn 2014“ gemeldet hatte. „Die jetzt genannten 6500 Todesfälle über zehn Jahre beziehen sich laut Guardian pauschal auf rund 1,4 Millionen Migrant*innen jährlich, unabhängig von Geschlecht, Alter und Tätigkeit. Angesichts dieser Gesamtzahl ist die Todesrate allein nicht aussagekräftig. Schon gar nicht kann die Zahl per „Stille Post“ mit den Todesfällen auf WM-Baustellen gleichgesetzt werden.“, sagte die Juristin.

Schenk möchte dafür werben, genauer hinzuschauen. „Eigentlich hätte man sich bei dieser hohen Zahl an Toten, die da plötzlich im Raum steht, gleich fragen müssen, warum das jetzt erst auffällt und nicht schon ein oder zwei Jahre zuvor.“, meinte die 68-Jährige verwundert. Die Zustände auf den WM-Baustellen seien laut Aussagen u.a. von Gewerkschaften inzwischen zufriedenstellend, was aber nicht bedeute, dass es nicht durchaus noch Defizite in dem Land insgesamt gibt.


Die ehemalige Mittelstreckenläuferin und Olympia-Teilnehmerin von 1972 sieht in derartigen auf Fehlinterpretationen beruhenden Schreckensmeldungen eine Gefahr für den längst angestoßenen Entwicklungsprozess im Land des WM-Gastgebers von 2022. „Ich will nicht Katar als Katar verteidigen. Aber wir sollten anerkennen, was die Gewerkschaften und die Menschenrechtsorganisationen in diesem Land geleistet haben“, gab Schenk zu bedenken. Wer leugne, dass sich dort viel bewegt habe und „irgendwelchen Zahlen“ folge, „negiert zum einen den Erfolg der Gewerkschaften, aber er nimmt den Arbeitern auch ihren Stolz. Den Stolz auf das, was sie in Katar, auf den WM-Baustellen geschafft haben.“

Kritik übte Schenk auch an deutschen Sportverbänden, die ihrer Meinung nach oftmals zu passiv und ängstlich agieren. „Es wäre Sache vom DOSB zu der Diskussion um die Winterspiele Beijing 2022 und vom DFB und Bayern München zu Katar aktiv die Debatte aufzunehmen. Sie sollten z.B. das machen, was ich mache: Sich die Zahlen angucken und sagen: ‚Hoppla, da stimmt doch was nicht‘ - und dann an die Öffentlichkeit gehen, statt sich wegzuducken!“, forderte sie eine deutlichere Positionierung des deutschen Sports bei heiklen Themen.

Von einem Boykott der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 als Mittel des Protests rät Schenk ebenso wie auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International dringend ab. Zwar habe es auf den Baustellen in Katar seit Anfang des Jahrtausends „gravierende Menschenrechtsverletzungen“ gegeben, die WM-Vergabe und der damit verbundene öffentliche Druck habe aber „grundlegende Änderungen“ gebracht. „Skandal und Empörung haben eine Funktion, um ein Thema auf die Tagesordnung zu bringen. Wenn sich an dem Thema danach nichts tut, dann kann man nach einem Boykott rufen. So aber nicht“, sagte die Rechtsanwältin, die Mitglied im Advisory Council des Center for Sport and Human Rights sowie bei Transparency International Deutschland ist.


Der ein oder andere mediale Perspektivwechsel beim Thema Fußball-WM 2022 war zuletzt durchaus zu spüren. „Es hat sich ja schon ein bisschen was getan“, bestätigte Schenk, sieht sich aber noch lange nicht am Ende ihrer Mission: „Ich hoffe, dass sich ein differenzierteres Bild breitmacht, denn wenn wir wirklich etwas ändern wollen, müssen wir das, was sich in Katar entwickelt hat, als Beispiel darstellen. Dann können wir auch in anderen Ländern entsprechende Wirkung erzielen.“

Ulrike Weinrich / VFS


Fortsetzung folgt…..

Der „VFS Online-PresseTalk“ mit wechselnden Gästen wird in loser Reihenfolge fortgesetzt.


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