Die Tür zur Sportredaktion flog auf. Herein schwebte ein Mantel. Lang. Weiß. Lässig. Sein Träger mochte es, diese sichtbare Prise Extravaganz. Attitüde im Alltag. Sie zeigte jedem: Seht her, ich bin nicht gewöhnlich. Rolf Lehmann liebte es, immer etwas mehr darzustellen, als für das Tagwerk notwendig war. So trug er die karierte Golferhose, die vor einer Dekade platinblond gefärbten Haare, Hawaiihemden - oder eben in der kalten Jahreszeit jenen Mantel, so weiß wie Schnee, so elegant wie ein Schal aus Seide, der sich um Herbert von Karajan schmiegte.
Die jüngeren Kollegen lächelten derlei Auftreten locker weg. Rolf Lehmann aber sah sich gern in den Rolle, die ihm etwas Besonderes verleihen sollte. Zum Wiesbadener Kurier war er aus dem Badischen gekommen. Hier blieb er, hier erlebte er die aus heutiger Sicht gute Epoche des Sportjournalismus, in der es die Zeit gab, „eine Geschichte“ zu schreiben, wie Lehmann gern sagte. Meistens handelten jene Geschichten über die Schwimmer, Tennissportler, die Schützen oder auch die Radsportler, als die in Wiesbaden mit Tour de France, Hessen-Rundfahrt und vielem mehr noch große Auftritte hatten. Seine „Geschichte“ zu schreiben, daran hatte der Kollege Spaß. So, wie er sie sah, weil in diesen, seinen Sportarten die Zahl der Journalisten zumeist überschaubar blieb. Das Ringen um den besten O-Ton bei den Fußballern der Eintracht überließ er lieber anderen.
Angela Maurer, Waldemar Schanz, Christian Werner oder Jan-Frode Andersen - das waren die Protagonisten seiner Geschichten, die er für den Wiesbadener Kurier in die Tasten haute. Nach der Zusammenlegung mit dem Wiesbadener Tagblatt und dem ersten Zweitliga-Aufstieg des SV Wehen Wiesbaden 2009 widmete sich rol, wie sein Kürzel lautete, doch noch vermehrt dem runden Leder. Es muss eine gewisse Liebe oder zumindest Sympathie daraus entstanden sein, denn Rolf Lehmann zählt seither zu den Stammgästen bei den Heimspielen des SVWW.
Seit dem Wahrnehmen der Alterszeit sowieso. Da kommt der Hobby-Golfer gern in die Brita-Arena, um sich einen guten Kick anzugucken. Zu Beginn der neuen Saison wird ihm das sicher noch leichter fallen: Zum einen sind die Folgen der Operation am Kniegelenk weitgehend ausgestanden. Zum anderen spielt Wiesbaden wieder in der Zweiten Liga.
Hin und wieder schreibt er auch nach dem Ausscheiden aus dem Berufsalltag noch eine „Geschichte“ für sein Blatt. Nur was es mit dem weißen Mantel auf sich hat, das wissen die jungen Leute, die heute in den Großraumbüros Dienst schieben, natürlich nicht. Diese Geschichte wird Rolf Lehmann vielleicht selbst erzählen. Wenn man sich mal trifft. Am 30. Juni feiert der Ruheständler, der mittlerweile in Rheinhessen lebt, seinen 65. Geburtstag. (BT)
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