Neulich war der Jürgen sogar im Fernsehen. Eigentlich war er im „Rad“, aber seit einiger Zeit überträgt der HR eine sehr babbellastige Sportsendung montagabends aus dem Seckbächer Ebbelweilokal. Und der Jürgen war da gut und häufig im Bild, im Jubiläums-Trikot der Eintracht, 125 Jahre, schwarz-gold bestickt, sehr chic, nur nicht tailliert. An seiner Seite im Publikum auch die erwachsenen Söhne David und Jannis, dummerweise wurde Ebbelwei gereicht. Der Jürgen bevorzugt Weizen. Danach gab es noch ein feines Erinnerungsbild mit HR-Reporter Sebastian Rieth und Bela Rethy, noch so eine in Rente gegangene Legende.
Es ist ja nicht so, dass Jürgen Ahäuser, der an diesem 1. November erstaunlicherweise 70 Jahre alt wird, kürzer treten würde, ganz und gar nicht. Die Woche war er wieder im Stadion, Pokalspiel, da ist er jetzt öfter als zu seiner aktiven Zeit als FR-Redakteur, in Istanbul jüngst war er nicht, aber sonst nutzt unser Mann aus Gronau, zuweilen ganz vorne im Cockpit, günstige Gelegenheiten, der Eintracht international auf die Füße zu sehen. So was lässt sich der reiselustige Westerwälder („Ein Wäller so gut wie zwei Deutsche“) nur ungern entgehen, er war unter den 30000, als „la bestia blanca“ zuschlug oder Harry Kane noch für einen Londoner Stadtteilverein traf. Und deshalb hat er es der Eintracht durchaus persönlich genommen, das Sommer-Trainingslager in Kentucky/USA aufgeschlagen zu haben - statt wie häufig in Österreich. Da wäre der Jürgen wieder mit dem Motorrad hingefahren, ruckzuck die Serpentinen hoch und runter, immer furchtlos, nie risikoreich.
Nee, ängstlich ist er nicht, der Jürgen, er hat sich immer was getraut. Er ist den Kilimandscharo raufgeklettert und hat afrikanische Heilkunst zu schätzen gelernt, er ist die Streif runtergefahren (langsam, da war er auch noch jünger) und durch den Panama-Kanal. Er ist Stammgast der VFS-Skitruppe in Hintertux, hat sich auf dem Plaza de Mayo in Buenos Aires fotografieren lassen und Weltmeister Messi am Obelisken zugejubelt, ohne Tango in La Boca zu tanzen. Er hat in Havanna festgestellt, dass der Kommunismus womöglich nach Fidel nicht richtig funktioniert, und er hat tagelang auf dem Meer ohne Netz, aber doppeltem Boden ausharren müssen (was auf einem Kreuzfahrtschiff erträglich ist). Und er hat im Schatten des Cristovao in die Tasten gehauen, 2016 war das, Olympische Spiele, da war Jürgen Ahäuser unser Mann in Rio. Und er hat private Schicksalsschläge gemeistert.
32 lange Jahre hat „jah“ für die Rundschau geschrieben, wortmächtig, meinungsstark, belesen, mit Rückgrat und unerschrocken, nicht immer pflegeleicht, manchmal eigen. Angelegt hat er sich gerne mit den Mächtigen, etwa mit dem früheren DOSB-Boss Alfons Hörmann, um mal einen herauszugreifen. Die Sportpolitik war sein Thema, eigentlich alles, was unter dem Fachterminus „AS“ firmierte, allgemeiner Sport, am liebsten aber alles, was mit Winter zu tun hatte, mit Tennis („Crispy Chicken am Earls Court“ und Berti gewinnt im Wembley den Cup) und – vor allem mit Motorsport. Die Formel 1 hatte es ihm angetan, mit Michael Schumacher auf Du und Du, mit Sebastian Vettel sowieso, Alain Prost hat er rasen gesehen, Ayrton Senna, Juan Manuel Fangio und Jack Brabham hat er ins Cockpit begleitet. Okay, vielleicht nicht ganz, aber dem Jürgen machte kaum einer was vor, er war ein Fachmann auf vielen Feldern, kein Fan, schnell gefahren ist er trotzdem.
Mit seiner Sicht der Dinge hat Jürgen Ahäuser, der Sozialdemokrat von altem Schrot und Korn, selten hinter dem Berg gehalten, in der FR nicht, und auch nicht auf der lokalen politischen Ebene. Sie nannten ihn mal „den Bürgermeister von Gronau“ (was der langjährige echte, Günter Biwer, einst gar nicht so witzig fand, wie es hieß), dabei war er nur im Ortsbeirat, neuerdings arbeitet der Ruhelose als Ehrenbeamter im Ortsgericht Bad Vilbel. Er engagiert sich, setzt sich ein für andere, ist im Ort präsent, natürlich auch bei der Freiwilligen Feuerwehr. Und manchmal steht er noch am Herd und bereitet Mittagessen für die liebe Gattin Petra, die leitend Kinder unterrichtet.
32 Jahre war „jah“ bei der FR, aus Leidenschaft, aus Überzeugung, aus ganzem Herzen, selbst wenn das Ende nicht so schön war, doch diese Wunden heilen. Dabei hat der Rundschau-Sport, so geht die Legende, ihn einst als Blattmacher in die Redaktion geholt, 1989 war das. Was hatten wir Schreiber uns gefreut: Endlich einer, der das lästige Planen, Layouten, Redigieren, Bilder suchen übernehmen würde, aus der Außenredaktion Hanau war er gekommen, der Jürgen. Dummerweise hatte ihm das mit dem Blattmachen keiner gesagt.
Im Grunde war es für die Zeitung, war es für den FR-Sportteil so auch viel besser.
Thomas Kilchenstein
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